Vorwort des Ausstellungskatalogs

"Schmuck - Handlung"

 

Erschienen zur Ausstellung in der Galerie für angewandte Kunst München, 2015

Der Titel dieser Ausstellung besteht – wenn man von dem Namen der Künstlerin einmal absieht – nur aus zwei Wörtern: „Schmuck“ und „Handlung“. Diese lassen sich als getrennte Begriffe lesen oder auch als ein zusammengesetztes Wort. Beides macht Sinn. Das vieldeutige Wort „Handlung“ hat es Doerthe Fuchs angetan: Romane oder Filme haben Handlungen; Juristen sprechen gerne vom „Vornehmen einer Handlung“; in wieder anderen Handlungen kann man Bücher, Blumen – oder sogar Schmuck kaufen. Alles geht aus von der menschlichen Hand, vom Machen mit der Hand. So wie auch im „Begreifen“ und in der „Bedeutung“ ursprünglich Tätigkeiten der Hand stecken. Im Schaufenster dieser Ausstellung ist, sozusagen als Auftakt, ein Paar roter Handschuhe präsentiert, auf deren Handflächen Dutzende von kleinen, bunten Perlen und Steinen genäht sind, so als würden diese „Hände“ etwas verschenken. „Alles was ich mache, ist eine Liebeserklärung an die Gabe der Hände,“ sagt Doerthe Fuchs. Sie denkt gern über die Bedeutungen der Worte und der Symbole nach, über ihre Doppel- oder auch ihre Hintersinne. In vielen ihrer Arbeiten ist das mehr oder weniger deutlich zu spüren.

 

Das Wirken des Hirns und des Herzens durch die Hände, das Machen selbst ist ihr ein Anliegen. Und das nicht nur um des Ergebnisses willen. Denn erst im Machen findet sie ihre Freiheit und zitiert hierzu den Designer Otl Aicher: „möglicherweise ist Freiheit gar nichts großes oder kleines. vielleicht ist sie ein Aggregatszustand, der durch machen entsteht – im Gegensatz zu einem reden, das über dem Erdboden schwebt – so dass Freiheit überall da entsteht, wo jemand beginnt, Hand anzulegen.“

 

Doerthe Fuchs denkt und arbeitet meistens in Werkgruppen, in Serien, die sie zärtlich als „Familien“ bezeichnet. In der Serie kann sie sich richtig einlassen auf ein Motiv, eintauchen in Gedankenwelten. Waren es vor einigen Jahren „Kokons“, denen sie 2010 einen schönen Katalog widmete, oder eine „Granatschmuck-Familie“, so sind es jetzt Ohrringe namens „Paartanz“ oder „Eigenheim“, Halsketten namens „Baustelle“ oder „Kritzelblümchen“. Ihre „Familien“ bewahrt sie in sorgfältig ausstaffierten flachen Schachteln auf, die sie ehrfürchtig öffnet und erst insgesamt betrachtet, bevor sie das eine oder andere Stück entnimmt und zeigt.

 

Bei der Ohrring-Familie „Paartanz“ geht es nicht um den Tanz von Mann und Frau, sondern um Tod und Leben, oder konkreter: um Tod und Eros. Das Thema „Totentanz“ kommt mir in den Sinn. Die etwa 40 Paare bestehen immer aus einem unterschiedlich gestalteten schwarzen Totenkopf und einem daran baumelnden, aus Rinderknochen geschnitzten Gebilde, das an pflanzliche Fortpflanzungsorgane erinnert. Diese teils realistischen, teil eher imaginierten hellen Formen strahlen eine starke Erotik aus. Und sie berichten von Doerthe Fuchs’ „Bei-der-Sache-Bleiben“, vom rituellen Umkreisen eines Gedankens, vom Denken in Polaritäten – von einer untrennbaren Beziehung.

 

Zu den asymmetrischen Ketten der Familie „Baustelle“: Doerthe Fuchs ist fasziniert von Baustellen, bei denen sie immer wieder stehen bleibt, um den Fortgang zu beobachten. Wie erst ein tiefes Loch in den Boden gegraben, wie dann darin eine Basis gelegt wird, auf der das Gebäude entstehen und stehen soll. Wie dann, scheinbar chaotisch, lastwagenweise Materialien, Armierungseisen, flüssiger Beton und andere Fertigteile, angeliefert werden, deren Funktion kaum zu erahnen ist. Und die beim nächsten Besuch bereits verschwunden sind, sinnvoll verarbeitet in das emporwachsende Haus. So ähnlich entstehen ihre Kompositketten oder sollte man sagen: ihre „Colliers“. Der Körper, sagt sie und deutet dabei auf ihr verhülltes Dekolleté, ist das Fundament, die Bühne, auf welcher der Schmuck seine Rolle spielt, seine „Handlung“ entwickelt.

 

Die „Kritzelblümchen“ haben ihren Namen, weil sie an jene kreisende Kritzeleien erinnern, die man früher während längerer Telefonate machte, ohne viel darüber nachzudenken. Aus diesen geschmiedeten Kritzeleien fertigt sie Ketten und Ohrringe, oder was ihr gerade einfällt und wichtig ist.

 

Die Ohrring-Familie „Eigenheim“ besteht aus vielen, ungefähr gleich großen Häuschen, alle aus geschwärztem Silber. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch Eigenheime mit Vorgarten oder Vogel-„Häuschen“ (Starenkästen). Ein Stück hat die Form eines Sarges, „das letzte Eigenheim“, wie Doerthe Fuchs sagt. Eines der wenigen Stücke aus Gold in dieser Ausstellung ist ein massiver Ring, ebenfalls in Hausform: „Schöne Anlage“ nennt ihn die Künstlerin. Da schwingt das Anlegen von Geld ebenso mit wie das Anlegen von Schmuck.

 

Viele ihrer Arbeiten besitzen etwas Dialogisches. Für einen Wettbewerb zum Thema „Horror vacui“ entwarf Doerthe Fuchs ein vasenartiges Gebilde aus geschwärzten Vierkantdrähten. Dahinein konnte man einen leeren Luftballon stecken und aufblasen. Damit wollte sie „zum Ausdruck bringen“ (auch so eine auf die Hand bezügliche Wortmetapher): „Die Fülle steckt in der Leere. Bei Unbehagen einfach aufblasen!“ Ernst Bloch schrieb 1929: „Die Wahrheit ist seit alter Zeit ein dialogisches Wesen, hat immer durch Frage und Antwort, oft mit verteilten Rollen, ihr Reich gemehrt.“

 

Um Wahrheit und Ehrlichkeit geht es auch Doerthe Fuchs. So legt sie z. B. Wert darauf, dass man bei den vielen dünnen Ringlein, die sie zu Colliers verbindet, die Spur der Lötung sieht: Es bleibt eine kleine, dickere Stelle erkennbar. Oder: „Auch die Rückseite muss schön sein!“ Was die Edelmetalle betrifft, verwendet sie fast ausschließlich geschwärztes Silber. Dieses wird zwar handwerklich perfekt verarbeitet, gibt sich aber doch ganz schlicht und gar nicht kostbar. Gold kommt nur selten vor, aber neben dem Silber ist kaum ein Material vor ihr sicher, Kaugummipapiere und Rotweingläser, Blechdosen und Pelzreste, Spiegelchen und Münzen, Glasaugen und Zeitungspapier. Und immer wieder Organisches. Von den Rinderknochen war schon die Rede, aber da waren auch die Stacheln oder Knochen eines Igels, Fuchszähne, Muscheln, oder Korallenästchen, die so „roh“ und porös sind, dass man sie normalerweise nicht für Schmuck verwenden würde. Oder der Abguss eines Eidechsenkopfes. Die filigranen Schädel kleiner Tiere faszinieren Doerthe Fuchs, auch wenn sie diese nicht zu Kunst verarbeitet. Jedes Stück aus ihrer Produktion, jedes herangezogene Material hat seine eng mit der Künstlerin verbundene Geschichte. Manchmal erzählt sie diese Geschichten, aber es sind zu viele. Und einige sind wohl auch zu intim für ein Gespräch.

 

Sehr persönlich wirken neben dem Schmuck die „Spieluhren“, die mal mehr an nostalgische Kinderkarussells erinnern, mal mehr an jene Glasstürze, unter denen in Naturalienkabinetten besondere Präparate aufbewahrt werden. Sie sind ausschließlich aus Fundmaterialien, Konservendosen, Trinkgläsern, Kronenkorken oder Verpackungsmaterial, hergestellt. Alles wird in sorgfältiger Näharbeit durch Drähte miteinander verbunden. Im Sockel ist eine Spieluhr verborgen, welche die kleine Bühne im Inneren des Glases dreht und immer wieder dasselbe Musikstück abspielt, am Schluss langsamer werdend und schließlich verstummend. Diese „Spieluhren“ sind einerseits „verspielt“, erinnern aber andererseits auch an die Reliquienschreine barocker Kirchen oder an die als Souvenirs so beliebten Schneekugeln, die eine kleine Welt unter der Glaskuppel zeigen.

 

Neu in ihrem Werk sind die fast schon als monumental zu bezeichnenden „Käfige“. Keine Schmuckstücke mehr, sondern filigrane, sozusagen dreidimensional gezeichnete Architekturen. Ein Experiment. „Es geht mir immer um Befreiung – vielleicht auch um Entfreiung“. Und während man noch nachdenkt, was „Entfreiung“ bedeuten könnte, spricht sie bereits von den unterschiedlichen Arten des Wanderns. In gewisser Weise wiederholt das Durchsichtige der „Käfige“ in strenger Form Motive des Schmucks von Doerthe Fuchs. Hier wie dort gibt es Durchblicke, bleibt das Metall beweglich und leicht, dominiert das Lineare. Auch bei den „Fischen“ wirkt der Körper wie eine Art Käfig, in dem das Leben in Form eines Korallenästchens gefangen ist. Bei ihren „Bänderketten“ drückt sich die Textur der Stoffbänder durch das weiche Feinsilber und gestaltet dieses mit – ebenfalls eine Form des Durchscheinens.

 

Man hat den Eindruck, dass Doerthe Fuchs alles zu Kunst gerät, was sie berührt. „Ich gucke gerne“, ist so ein schlichter Satz, den sie plötzlich äußert. Und es stört sie auch nicht, wenn die Betrachter verblüfft sind, „begriffsstutzig“ bleiben. Im Gegenteil: „Ich mag das, wenn die Menschen nachdenken!“ Deshalb will sie auch nicht alles erklären, vieles offen lassen, so wie Adorno 1977 schrieb: „Die Wirklichkeit der Kunstwerke zeugt für die Möglichkeit des Möglichen.“

 

Bei Doerthe Fuchs ist noch vieles möglich.

 

 

 

Prof. Dr. Thomas Raff

Vorstandsvorsitzender des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins

 

 

 

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Interview

ART JEWELRY FORUM

 

Jewelers’Werk Galerie, Washington, D.C., USA

By Adriana G. Radulescu

 

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Friends of Carlotta

Schmuck- und Förderpreis 2008

 

1. Preis Kategorie Schmuck: Doerthe Fuchs

Galerie für zeitgenössischen Schmuck

Bruno Hauert, Zürich

 

 

Friends of Carlotta

Schmuck- und Förderpreis 2005

 

Galerie für zeitgenössischen Schmuck

Bruno Hauert, Zürich

 

 

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Anerkennung

being unique –

 

Spieglein, Spieglein

an einem Band

Deine unendliche Fülle lässt sich

–wenn überhaupt- einzig in

einem Spiegel spiegeln! Setze

ihn ein - zum Bannen, - zum

Blenden, - zum Suchen, - zur

Erkennen, - zum Brennen....